Neue Bilder

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Übersetzung ist immer auch gleichzeitig Interpretation. So kann ein Blick in verschiedene Übersetzungen bei der Vorbereitung der Homilie nicht nur bereichernd sein, sondern auch helfen, scheinbar Nebensächliches zu erkennen und neue Bilder der revidierten Einheitsübersetzung im Zusammenhang zu verstehen.

Ein gutes Beispiel dafür liefert die neue Übersetzung des griechischen Wortes agápe an einer Stelle beim Evangelisten Markus. Im Unterschied zu den anderen Synoptikern hat Markus bei seiner Darstellung der Episode „Von Reichtum und Nachfolge“, bekannter unter dem griffigen Titel „Vom reichen Jüngling“, eine kleine Einfügung: „Da sah ihn Jesus an, umarmte ihn und sagte“ (Mk 10,21). Die bisherige Übersetzung der Einfügung lautete „und weil er ihn liebte“. Andere Übersetzungen benutzen den Ausdruck „lieb gewinnen“, womit sie der besonderen griechischen Zeitform Aorist, die es im Deutschen so nicht gibt, ebenfalls nahekommen.

Die neue Einheitsübersetzung bietet hier das Bild der Umarmung im Sinne eines „liebevollen Aufnehmens/Begrüßens“ entsprechend dem ursprünglichen Sinn des Wortes agápe in der griechischen Klassik, wie es schon in der berühmten Szene bei Homer vorkommt, wenn Penelope nach 20 Jahren der Trennung ihr eigenes erstes Zaudern entschuldigt: „Zürne mir nicht, Odysseus (…), dass ich dich nicht beim ersten Anblick liebend begrüßte“ (Odyssee 23,209-214, Übersetzung Roland Hampe).

Albert J. Urban

Albert Urban ist Geschäftsführer des Deutschen Liturgischen Instituts in Trier und Herausgeber zahlreicher Nachschlagewerke.

Quelle: Gottesdienst. Zeitschrift der Liturgischen Institute Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, 2019, Heft 8, S. 93

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